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04.04.24 –
2022 blickte die ganze Welt auf die Demonstrationen mutiger Frauen im Iran, ausgelöst durch den Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini. Über Monate dauerten die Proteste an, doch momentan hört man in den Medien wenig über die Lage im Land: Finden noch Demonstrationen statt? Wie steht es um die Frauenrechte im Iran? Diese Fragen beantworten die beiden Exil-Iranerinnen Saghar Kia und Nina Afschari im Rahmen einer Mitgliederversammlung des Kreisverbands Roth von Bündnis 90 / Die Grünen. Sie berichteten eindrucksvoll sowohl von der politischen Lage im Land als auch von ihren ganz persönlichen Erlebnissen.
So erzählte Saghar Kia, wie sie in einer patriarchalen Gesellschaft aufwuchs, in der immer andere für sie entschieden: welche Kleidung sie zu tragen hatte, was sie sagen durfte, und schließlich auch, wen sie heiraten sollte. Da ihr Vater früh starb und die Mutter – wie im Iran üblich – kein Sorgerecht für die eigenen Kinder hatte, wuchs sie mit dem Onkel auf. Als sie siebzehn war, wurde sie zwangsverheiratet und spürte danach immer deutlicher, dass es für sie als Frau im Iran kein freies Leben geben würde. Sie lebte eine Zeit bei ihrer Schwester, durfte aber ihre eigene Tochter nicht sehen, weil das Sorgerecht beim Vater lag. Ihre Hilflosigkeit war groß: Es gab kein Gesetz, auf das sie sich stützen konnte, keine Familie, die ihr Rückhalt gab. 2017 fasste sie daher den Entschluss, mit ihrer siebenjährigen Tochter nach Deutschland zu fliehen. Auch wenn die Ausreise gefährlich war - mit illegalen Dokumenten über Schlepper – war sie bereit, diesen Preis zu zahlen, um künftig über ihr eigenes Leben selbst entscheiden zu können. Es gab in Deutschland auch Rückschläge und Enttäuschungen, doch nach sieben Jahren ist Saghar Kia heute froh, die Entscheidung getroffen zu haben und frei reden und ihre Geschichte erzählen zu können. Erst hier habe sie im Austausch mit anderen über Schmerzen und Verletzungen erkannt, wie vielen Frauen im Iran es ähnlich ging.
Nina Afschari, ebenfalls geboren und aufgewachsen im Iran, ergänzte die bewegenden Ausführungen von Saghar um eine historische Einordnung. Sie berichtete, dass sich der Iran in den letzten Jahrzehnten mal hin zu Demokratie, mal weg von ihr bewegt habe, und unterschied dabei drei Wendepunkte: der erste war die konstitutionelle Revolution, in der das Land zwar eine Verfassung bekam, den Frauen aber wichtige Grundrechte verweigert wurden. Sie galten als Eigentum des Mannes und waren teilweise Tieren gleichgestellt. Es folgte eine Phase der Modernisierung, in der Frauen viele Rechte bekamen – das Wahlrecht sogar früher als Frauen in Europa. 1979 endete diese Zeit mit der Islamisierung des Rechts. Seitdem existiert ein ideologisches System, dessen wichtigste Säulen die Unterdrückung der Frauen und die Feindschaft mit USA und Israel sind. Frauen sind demnach per Gesetz weniger wert als Männer, sie können keine öffentlichen Dienste ohne Einhaltung des Zwangshidjabs nutzen, beispielsweise Schul- oder Universitätsbesuch, Aufnahme in Krankenhäusern, Geldabheben in Banken. Frauen sind bei Erbschaften benachteiligt, und haben für die eigenen Kinder kein Sorgerecht.
Nina Afschari berichtet, wie in dieser Situation eine Frauenrechtsbewegung entstand, die letztlich das Fundament für die Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini war. Es hatte zuvor schon zahlreiche Kampagnen gegeben, vor allem über Social Media, durch die sich Frauen vernetzten und Mut schöpften, für ihre Rechte einzutreten. „Das Internet war für die Frauenbewegung ein Segen,“ sagt Afschari. Die Proteste wurden gewaltsam unterdrückt. Genaue Zahlen, wie viele Menschen verhaftet und hingerichtet wurden, gibt es nicht. Auch wurde immer wieder das Internet abgeschaltet und westliche Berichterstatter des Landes verwiesen, damit möglichst keine Nachrichten aus dem Land dringen konnten. Eine unabhängige Prüfung der UN hat mittlerweile offiziell bestätigt, dass es immense Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab.
Wie ist nun aktuell die Lage? Straßenproteste gibt es derzeit kaum, aber der zivile Widerstand der Frauen ist ungebrochen. Viele gehen ohne Kopftuch auf die Straße und nehmen dafür Strafen in Kauf. Das zeige, so Afschari, dass das Regime keine Legitimation mehr im Land hat. Die äußerst niedrige Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen, nur 18 Prozent, bestätige das. Allerdings hält sich das Regime durch Unterstützung aus dem Ausland weiter an der Macht.
Doch Afschari ist optimistisch: „Die Bewegung nach dem Tod von Mahsa Amini ist ein wichtiger Teil des Prozesses hin zu mehr Demokratie. Sie ist ein weiterer Wendepunkt in der Geschichte, der zeigt: Die Menschen sind bereit für die Demokratisierung ihres Landes. Die Bewegung wird weiter gehen. Und wir werden sie so gut es geht mit unserem Verein aus Deutschland unterstützen.“ Nach dem Tod von Mahsa Amini hatte Afschari zusammen mit anderen Aktivistinnen aus der Region den Verein „Woman, Life, Freedom – Nürnberg/Erlangen" gegründet, der sich für eine säkulare und demokratische Gesellschaft im Iran einsetzt.
Nach den bewegenden Berichten schloss sich eine angeregte Diskussion an. Gefragt wurde unter anderem, wie man von Deutschland aus die Bewegung unterstützen könne. Laut Afschari gibt es verschiedene Ansatzpunkte, und jeder Beitrag sei wichtig. Ihrem Verein geht es vor allem um Aufklärung über die Lage im Land – auch gegenüber Unternehmen aus der Region, die Geschäfte mit dem Iran machen und so das Regime unterstützen. Die Bundesregierung forderte sie auf, bei dem derzeitigen Fokus auf Gaza das iranische Regime als Unterstützer der Hamas nicht zu übersehen. Ohne Iran und Russland sei der Konflikt nicht zu lösen. Kritisch sehen die beiden auch, dass in der aktuellen Situation wieder Abschiebungen nach Iran stattfinden, und das Abschiebeverbot nicht verlängert wurde.
Auf die Frage, was sie davon halten, wenn hierzulande Menschen behaupten, man dürfe ja nicht mehr alles sagen, war ihr Appell deutlich: „Es ist wichtig, dass jene, die an die Demokratie glauben, auf die Straße gehen und sie verteidigen. Sie müssen deutlich machen, wie wertvoll diese Errungenschaft ist. Das ist anstrengend, aber diese Energie müssen wir aufbringen. Wir haben im Iran erlebt, wie schnell die Rechte von Frauen nach 1979 gestrichen wurden. Zerstören geht sehr schnell. Einmal verlorenes wieder herzustellen, kostet dagegen viel Mühe.“
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